Das Bundesarbeitsministeriums und die „Initiative Neue Qualität der Arbeit“ haben eine Umfrage in Auftrag gegeben, bei der 400 Führungskräfte unterschiedlich großer Unternehmen und verschiedener Hierarchieebenen etwa eineinhalb Stunden lang interviewt wurden. Die hochinteressanten Ergebnisse wurden im September 2014 u.a. von der „Zeit“ veröffentlicht, die online tituliert, dass „der veraltete Führungsstil in deutschen Firmen den Wirtschaftsstandort gefährdet“.
Wow, veralteter Führungsstil in Deutschland? Wir glänzen nicht nur im europäischen Umfeld mit unserer Wirtschaftsleistung, sondern werden weltweit um unser „Mittelstands-Wunder“ beneidet. Ist also wieder mal „nicht alles Gold, was glänzt?“ Thomas Sattelberger, Themenbotschafter der Initiative Neue Qualität der Arbeit und ehem. Vorstand Telekom AG, Continental AG und Lufthansa Passage formuliert es so:
„Wir erleben gerade einen Paradigmenwechsel in deutschen Unternehmen. Entscheidungsfähigkeit und Macht werden zunehmend auf Teams oder Projektgruppen verlagert. Der einzelne kluge Kopf wird Teil von Kooperationsnetzen. Geführte erwarten zunehmend andere Menschenführung, Führungskräfte sind zunehmend auf der Suche nach einem anderen Verständnis von Führung und beide wollen eine neue Führungskultur…“
Ich glaube, der entscheidende Punkt ist der Paradigmenwechsel, also der Wandel von grundlegenden Rahmenbedingungen. In den zusammenfassenden Slides zur Umfrage (die können Sie sich hier herunterladen) heißt es, dass „viele der 400 interviewten Führungskräfte die Führungspraxis in Deutschland in großer Distanz zu den sich tatsächlich durch den Wandel der Arbeitswelt ergebenden Führungsanforderungen sehen“. Die Kriterien für „gute Führung“ sehen sie nicht einmal zur Hälfte erfüllt und kritisieren eine seit langem bestehende Fehlentwicklung der Führungskultur. Nur noch ein Drittel der Führungskräfte wünscht sich ein Führungsmodell, bei dem die Unternehmensrendite im Vordergrund steht. Die wenigsten glauben noch, dass ein rein hierarchisch organisiertes Management Zukunft hat, sondern erfahren häufiger, dass das Arbeiten in beweglichen Führungsstrukturen immer wichtiger wird. Zudem gewinnen Wertschätzung, Entscheidungsfreiräume und Eigenverantwortung mehr Bedeutung bei der Mitarbeitermotivation, da rein finanzielle Anreize schon heute Ihre besondere Attraktivität verloren haben.
„Panta thei, alles fließt“ erkannten schon „die alten Griechen“ als grundlegendes Naturgesetz. Auch wir ändern uns, unsere Kultur (Gen-Y, Internet, etc.) ändert sich und dementsprechend auch die Anforderungen an Führungskräfte. Ich bin überzeugt, dass Unternehmenslenker von morgen immer bewusster Verantwortung für die Gestaltung der Unternehmenskultur übernehmen werden. Sie wissen, dass Führungskultur die Unternehmenskultur prägt. Und sie streben eine Unternehmenskultur an, die eine klare und das Gemeinwohl unterstützende Vision verfolgt und den Mitarbeitern die Möglichkeit gibt, sich und Ihre Fähigkeiten im Rahmen der Unternehmensziele und zum Wohle des Unternehmens immer weiter zu entwickeln. Bei der Arbeit mit unseren Kunden ist daher die Frage nach der Unternehmenskultur auch immer Ausgangspunkt unserer Analysen. Konkrete Arbeiten an Strategie oder Wettbewerbsvorteil zahlen sich nämlich nur dann wirklich aus, wenn vorhandene Engpässe in der Unternehmenskultur gelöst wurden.
In Ansätzen kommt diese Idee auch aus den zehn Kernaussagen zu „guter Führung“, die in der Studie am Ende formuliert werden:
- Flexibilität und Diversität sind weitgehend akzeptierte Erfolgsfaktoren.
- Prozesskompetenz ist für alle das aktuell wichtigste Entwicklungsziel.
- Selbst organisierende Netzwerke sind das favorisierte Zukunftsmodell.
- Hierarchisch steuerndem Management wird mehrheitlich eine Absage erteilt.
- Kooperationsfähigkeit hat Vorrang vor alleiniger Renditefixierung.
- Persönliches Coaching ist ein unverzichtbares Werkzeug für Führung.
- Motivation wird an Selbstbestimmung und Wertschätzung gekoppelt.
- Gesellschaftliche Themen rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit.
- Führungskräfte wünschen sich Paradigmenwechsel in der Führungskultur.
- Führungskultur wird kontrovers diskutiert.
Wie sieht es denn mit Ihrer Führungskultur bzw. Unternehmenskultur aus? Es lohnt sich, darüber nachzudenken. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dies eher früher als später zu tun.
Zum Abschluss ein zum Thema passendes Interview mit Prof. Dr. Peter Kruse:
Ist es wirklich sinnvoll, aus 400 Perspektiven unterschiedlichster Herkunft, hinter denen meist ein reichhaltiger Fundus verschiedenster, manchmal sogar gegensätzlicher Erfahrungen, Interessen und vor allem Begründungen steht, auf den einen „veraltete[n] Führungsstil“ zu rekurrieren und von diesem „Einen“ eine Gefahr für den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ abzuleiten? Das klingt mir eher nach dem Versuch einer Rechtfertigung der betroffenen Manager, warum man bisher nicht vermochte, aus eigenen Stücken, also im Sinne der geforderten Eigenverantwortung, auf Privilegien und Status, zugunsten einer kollektiven, dem „Gemeinwohl“ dienenden Entscheidungskultur, zu verzichten: „Nicht mein individueller Karriereanspruch sondern der eine uns allen gleichermaßen aufgezwungene „veraltete Führungsstil“ ist Schuld!“ Natürlich möchten Manager nicht an konkreten Renditezielen gemessen werden, genauso wenig, wie operative Mitarbeiter ihre Leistung an Kennzahlen messen lassen möchten. Woran denn sonst, wenn nicht an unternehmerischen Erfolgskennzahlen, muss sich das Management messen lassen? Der Mitarbeiter am Band kann sich nicht so einfach aus der Verantwortung ziehen. Ihm werden heute und wahrscheinlich auch morgen noch die Qualitätsziele um die Ohren geschlagen, während sich der Manager im Nebel „beweglicher Führungsstrukturen“ verdünnisieren will. Versuchen Sie das mal einem solchen operativen Mitarbeiter als „attraktiven Leistungsanreiz“ zu verkaufen, ohne dass Sie von diesem – einem sehr individuellen „Naturgesetz“ folgend – aus den Schuhen geholt werden.
Ich verstehe nicht, welchen Zweck man mit dieser Studie verfolgt. Oder ist man wirklich der Meinung, einerseits das Berufseinstiegsalter zukünftiger Führungskräfte immer mehr in den pubertären Bereich zurück zu verschieben, andererseits wird dies an die Erwartung geknüpft, „dass Unternehmenslenker von morgen immer bewusster Verantwortung für die Gestaltung der Unternehmenskultur übernehmen werden.“? (Die Annahme der Steigerungsfähigkeit von „bewusst“ möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst kommentieren.) Nimmt man wirklich an, dass Verantwortungsbewusstsein und Unternehmens- bzw. Führungskultur in einem solch einfachen linearen Zusammenhang stehen? Man kann, um an Prof. Peter Kruses Argumentation anzuknüpfen, komplexe Systeme nicht in linearen Zusammenhängen erfassen und beschreiben. Und man sollte, um mit Prof. Bazon Brock zu sprechen, unlösbare Probleme als solche auch erkennen, akzeptieren und mit ihnen umzugehen lernen. Warum handelt es sich bei dem „Paradigmenwechsel“ in Sachen Führungsstil, im Sinne der vorliegenden Studie, um ein unlösbares Problem? Der Grund dafür liegt darin, dass sich Menschen immer durch unterschiedliche Charaktere voneinander abheben werden, was im Zuge von Team- und Gruppenarbeit stets mit unterschiedlichen und sprunghaft veränderlichen psychosozialen (informalen) Beziehungswünschen einhergeht. Dieser Herausforderung kann keine Führungskraft der Welt mit dem einen, vereinheitlichten „neuen Führungsstil“ begegnen (denn genau diesen einen „neuen Führungsstil“ impliziert ein Paradigmenwechsel, ausgehend von dem „veralteten Führungsstil“), ohne massiven psychohygienischen Schaden im Unternehmen anzurichten.
Wir werden also auch in Zukunft eine entsprechende Vielzahl so genannter Führungsstile vorfinden, Paradigmenwechsel hin oder her, die einmal als geeignet, ein anderes Mal als ungeeignet eigestuft und verändert werden müssen. Wichtig ist, dass Entscheidungsträger in Unternehmen sich durch Flexibilität hinsichtlich ihrer Denk-, Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Verhaltensmuster, also durch persönliche Reife, Lebenserfahrung und Weitsicht auszeichnen. Dies erreicht man eben nicht durch 1A-Erfolgs-Auslandsaufenthalts-Prädikatsexamens-Multipraktika-Lebensläufe, sondern durch kritische Reflexion des eigenen Scheiterns.
Ermöglichen wir den Führungskräften von morgen, zu scheitern, begleiten wir sie bei der kritischen Reflexion der Ursachen, ohne uns selbst dabei herauszunehmen, und sie werden auch ohne „Kernaussagen guter Führung“ den für sie selbst und für ihren Verantwortungsbereich sinnvollen und geeigneten Entwicklungsweg finden.
Vielen Dank, Herr Dr. Wagner, für Ihren ausführlichen und sehr reflektierten Kommentar zu meinem Blogbeitrag und der Studie des Bundesarbeitsministeriums und der „Initiative Neue Qualität der Arbeit”. Mit Ihrer abschließenden Schlussfolgerung „Ermöglichen wir den Führungskräften von morgen, zu scheitern, begleiten wir sie bei der kritischen Reflexion der Ursachen, ohne uns selbst dabei herauszunehmen, und sie werden auch ohne „Kernaussagen guter Führung“ den für sie selbst und für ihren Verantwortungsbereich sinnvollen und geeigneten Entwicklungsweg finden.“ stimme ich auf jeden Fall überein. Ich glaube aber auch, dass Sie zusammen mit der Formulierung am Anfang Ihres Kommentares „…warum man bisher nicht vermochte, aus eigenen Stücken, also im Sinne der geforderten Eigenverantwortung, auf Privilegien und Status, zugunsten einer kollektiven, dem „Gemeinwohl“ dienenden Entscheidungskultur, zu verzichten“ eine sehr werteorientiertes Führungsverständnis beschreiben, das, um ein extremes Beispiel zu nennen, bei vielen Bankern meiner Einschätzung nach nicht vorhanden ist. Und genau dieser Wandel von Verständnis – so habe ich die Studie interpretiert – wird als Paradigmenwechsel beschrieben. Recht haben Sie auch mit den großen Unterschieden im Führungsstil, die sehr unterschiedliche Unternehmenskulturen hervorbringen…
Vielen Dank, Herr Seidel, für Ihren interessanten Kommentar. Ich stimme auf jeden Fall mit Ihnen überein, dass es nicht linear weitergehen kann. Vor allem bei „Change Projekten“ kommt es immer darauf ankommt, für das eigene Unternehmen den aktuellen Engpass herauszufinden und diesen zu beseitigen. Macht man es richtig, wird sich Erfolg einstellen. Damit wird das Vertrauen der Belegschaft wiedergewonnen. Führt man auf diese Art und Weise, kann man von Trends lernen, ohne jeden selber versuchen zu müssen.
Mit herzlichem Gruß aus der Eifel,
Eb Schmidt
P.S.: An Ihrer Analyse “Logistik am Limit” bin ich interessiert.