Ein Buch macht gerade Schlagzeilen. Reinventing Organisations berührt weltweit die Herzen vieler Unternehmer und Führungskräfte auf der Suche nach neuen Formen der Organisationsführung und Unternehmenskultur. Dessen Autor, Frederic Laloux, sagte in einem Interview für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift evolve: „Typisch für den Wandel zu evolutionären Organisationen, wie ich es nenne, ist der Übergang von Angst zu Vertrauen, von Mangel zu Fülle. Dieser Übergang spiegelt sich in den neuen Strukturen wieder. Von Strukturen, die auf Angst, Kontrolle und Überwachung beruhen, geht man über zu Strukturen, die auf Möglichkeiten, Entfaltung und Offenheit basieren.“
Das ist einerseits nichts Neues. Als Persönlichkeits- und Organisationsentwickler bin ich immer auf der Suche nach neuen Strukturen und Praktiken, die Menschen und Unternehmen bestmöglich in ihrer Weiterentwicklung fördern. Doch wenn Laloux von evolutionären Organisationen schreibt und dem Übergang von Angst zu Vertrauen und von Mangel zu Fülle, inspiriert und konfrontiert er mich mit etwas Grundsätzlichem, nämlich mit der Frage: Mit welchem Menschenbild führe ich wirklich?
Ich bin dieser Frage in den letzten Tagen nachgegangen und habe versucht, meine Sicht auf mich und andere als Mangel oder Fülle zu beschreiben:
- Mangel: Der Mensch ist limitiert und muss zur Ganzheit geformt werden. Er ist ein Einzelwesen und wird grundsätzlich von Gier und Angst bestimmt. Der Mensch neigt zum Status Quo und verändert sich nur, wenn er verlockt oder bedroht wird.
- Fülle: Der Mensch ist mit allem verbunden. Er ist voller Ressourcen und Potenziale, besitzt eine hohe Lernkompetenz und ist grundsätzlich entwicklungs- und leistungswillig. Der Mensch ist ein Beziehungswesen und möchte einen sinnvollen Beitrag für die Gemeinschaft leisten.
Obwohl ich, basierend auf meiner eigenen tiefsten Erkenntnis, an das Menschenbild der Fülle glaube, muss ich zugeben, dass mir das erste Bild vertrauter erscheint. So wurde ich erzogen und sozialisiert. Mit dem Selbstverständnis des Mangels habe ich früh begonnen, mich auf die Welt, das Leben und meine Erfahrungen darin zu beziehen. Und wenn ich mich heute umschaue, ist es immer noch die Luft, die wir atmen. Unser Schul- und Bildungswesen, die Politik, die Ökonomie beruhen alle grundsätzlich auf dieser Sicht vom Menschen.
Es ist also nicht verwunderlich, dass viele gut gemeinte Change Projekte scheitern oder einfach nicht nachhaltig sein können, solange die Haltung der Verantwortlichen, einschließlich der Berater, diesem Menschenbild entsprechen.
Ein Unternehmerfreund hat mich kürzlich gefragt: „Woher kommt das Vertrauen, die Menschen in ihrer Fülle wahrzunehmen?“ Meine Antwort lautete: „Vertrauen beginnt für mich in meinem ehrlichen Hinschauen, mit welchem Menschenbild führe ich wirklich?“
Hi,
Fair Trauen in !CHefs nenne !CH das, was Not wendet …
Es ist nicht unbedingt gelernt und wird nur ungern gelehrt,
weil unsere Wohlstandsgesellschaft auf Risikominimierung eingeschworen ist.
Aus Angst vor Verlusten,
denke !CH.
;-))
Vielen Dank für diese klare Unterscheidung. Mir fällt in diesem Zusammenhang das Vexierbild, das eine Vase oder zwei Gesichter zeigt, ein. Wenn ich die Vase sehe, kann ich die beiden Gesichter, die das Bild auch zeigt, nicht wahrnehmen und umgekehrt. Das gilt analog auch für die Wahrnehmung von Schwächen oder Stärken. Beides zugleich funktioniert nicht wirklich. Und das, was ich wahrnehme, wächst. Da wir auf den Mangel hin sozialisiert sind, geht die Wahrnehmung automatisch in Richtung der Schwächen. Wenn wir uns das jedoch bewusst machen, haben wir eine Wahl.
Das ist ein schönes Gleichnis. Immer nur das eine oder andere Bild ist sichtbar und real. Doch wenn man beide Bilder erst einmal abwechselnd sehen konnte, wird es leichter zwischen ihnen zu wählen.
Lieber Steffen,
auch ich war geprägt vom Mangeldenken und habe gelernt, beides existiert sowohl – als auch. Sich einzugestehen, dass beides gleichzeitig da ist,, schafft auch die Möglichkeit selbst zu entscheiden, wo bleibt meine Aufmerksamkeit. Ich habe für mich sehr daran gearbeitet, mein Grundvertrauen zu stärken und schaue mehr auf die Seite, wo es mir gut geht. Meine Erkenntnis: Vertrauen fängt erst bei mir an, damit ich auch anderen vertrauen kann.
In meiner Dankbarkeit für das Leben kann ich die Fülle jeden Moment wahrnehmen, wenn ich mein Herz und meine Augen öffne.