Profil zeigen? – 4 Gründe, die Führungskräfte davon abhalten, zu ihrer Meinung zu stehen
Martin Wehrle schreibt in einem vor kurzem veröffentlichtem Artikel „Warum hat mein Chef keine Haltung“ auf „Zeit Online“, dass Topmanager sagen, sie wünschen sich von den Mitarbeitern auf mittleren Führungseben mehr Widerspruch und eigene Meinungen. Es fehle in Deutschland an Führungskräften, die Überzeugungen haben und dafür bei ihren Chefs einstehen.
Warum ist es so schwierig, Mitarbeiter zu finden, die dazu bereit sind, direkt zu sein und zu ihrer eigenen Meinung zu stehen? Es gibt 4 Gründe, die Führungskräfte davon abhalten, gegenüber Vorgesetzten ihre eigene Meinung zu sagen.
- Der Chef hört nicht zu.
Ein Grund kann der „Manager im Elfenbeinturm“, wie ein Artikel auf wiwo.de diejenigen Chefs bezeichnet, die Ihre Macht ausnutzen. Es sind Menschen wie Thomas Middelhoff, der auf „FAZ online“ als Extrembeispiel für Manager genannt wird, die geblendet vom Glauben an die eigene Genialität meinen unfehlbar zu sein. Diese Manager sind so von sich selbst überzeugt, dass sie nicht mehr zuhören. Mit einem solchen Chef würde man wohl ein sehr hohes Risiko eingehen, wenn man gegen die Ansichten des Vorgesetzten seine Meinung vertritt. Und weil es keiner gewagt hat, konnten sie dann auch in ihren „Elfenbeinturm“ aufsteigen. Denn wer will schon seinen Job riskieren, nicht wahr? Vor der Frage stand ich auch einmal, als ich in einer Führungsposition war, in der ich gravierende Missstände aufzeigen musste. Mit Unterstützung eines Kollegen habe ich dann die Alarmglocken beim Vorstand geläutet, was schwerwiegende Konsequenzen für den CEO und auch andere hatte. Es hat mich moralisch sehr gestärkt, für meine Wahrnehmung einzustehen und Verantwortung für die ganze Situation zu übernehmen.
- Die Unternehmenskultur ist schuld.
Gibt es in Ihrem Unternehmen auch Mitarbeiter, die ihre Meinung wie ein paar Socken wechseln? Kann es an der Unternehmenskultur liegen? Werden in Ihrem Unternehmen – wie in vielen anderen deutschen Unternehmen – Leute befördert, die besonders anpassungsfähig sind und ihre Meinung, so sie überhaupt eine haben, dem Management angleichen? Wenn Sie das nicht ausstehen können und den Einfluss haben, an dieser „Speichellecker“-Unternehmenskultur etwas zu verändern, dann warten Sie nicht auf andere. Es ist die Aufgabe der Führungskräfte, die Unternehmenskultur aktiv zu gestalten. Proaktive Vorschläge und ein direktes Ansprechen der Kultur können hier der erste Schritt sein. Auch ist es ratsam, sich Verbündete zu suchen, entweder im Unternehmen oder Hilfe von Außen, um die kulturelle Veränderung anzustoßen.
- Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht.
Vielleicht hat Ihnen schon einmal jemand starkes Feedback gegeben, nachdem Sie wirklich Ihre Meinung verteidigt haben und Sie als inkompetent oder anmaßend bezeichnet. Damit sind Sie sicherlich nicht allein und warum das passiert ist, kann verschiedene Ursachen haben. Fragen Sie sich, ob der Beitrag/die Meinung tatsächlich nicht hilfreich war oder ob Sie ungerecht behandelt wurden? Wenn Sie in einem Meeting einen klaren Standpunkt beziehen, sollten Sie das unter der Voraussetzung tun, dass Sie klar über die Sache nachgedacht haben und nicht nur emotional auf eine Situation reagieren. Wenn Sie sich im Vorfeld Daten besorgen, die Ihre Sicht unterstützen, können Sie sicherer auftreten. Auch sollten Sie nicht unreflektiert gegen einen Vorschlag sprechen und ohne stichhaltige Argumente einfach ablehnen. Es ist wichtig, andere Meinungen anzuhören und sie in Erwägung zu ziehen. Die Erfahrung von Feedback kann auch eine ganz andere sein, wenn im Führungsteam so viel Vertrauen aufgebaut wurde, dass alle Situationen offen diskutiert werden können. Wenn dann auch jemand einmal daneben haut, kann dies einfach und klar reflektiert werden, ohne dass es persönlich genommen wird. Das wird nur dann gelingen, wenn jeder im Team auch die Verantwortung für eine sachliche Diskussion auf höchster Ebene anstrebt. So agieren Spitzenteams.
- Was denken die Anderen über mich?
„Was denken die Anderen über mich, wenn ich das jetzt sage? Wird das gut ankommen?“ Sind Ihnen diese Gedanken vielleicht auch schon einmal durch den Kopf gegangen, als Sie in einem Meeting saßen, wo wichtige Entscheidungen anstanden. Meiner Erfahrung nach ist diese Selbstreflexion bei Frauen häufiger ein Grund sich zurückzuhalten als bei Männern. Frauen machen ihr Selbstwertgefühl und ihre Bereitschaft, zu ihrer Meinung zu stehen, eher davon abhängig, was andere von ihnen denken. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Frauen während sie gesprochen haben, auf Kopfnicken oder ein Lächeln von anderen gewartet haben, bevor sie weitergesprochen haben? Und wenn das Kopfnicken nicht kam, wie Frauen ihre Meinung oder ihren Standpunkt zurücknahmen oder relativiert haben? Wenn wir ein paar Hundert Jahre in der Geschichte der Menschheit zurückgehen waren Frauen dem Willen der Männer und deren Wohlwollen in großem Maße ausgeliefert. Daher war es eine notwendige Überlebensstrategie von Frauen, die kleinsten Hinweise des anderen Geschlechts richtig zu interpretieren, und unsere Handlungen entsprechend anzupassen. Dadurch wurden über lange Zeit tiefe Strukturen in uns geschaffen, die Frauen dazu veranlassen, nach wie vor diese Bestätigung von außen zu suchen. Aus dieser historischen Sicht, kann man auch leichter verstehen, warum Männer generell eher von sich selbst überzeugt sind und diese Bestätigung von außen weniger suchen. Dieser Unterschied wird schon bei Gehaltsverhandlungen im Vorstellungsgespräch sichtbar und setzt sich dann in Meetings auf Führungsebene fort, wenn nicht bewusst daran gearbeitet wird. In meiner Arbeit mit Frauen habe ich gelernt, dass Führungskräfte, die an die Spitze kommen, auf diese Bestätigung durch andere verzichten lernen und ihre Kraft aus einer inneren Quelle schöpfen.
Zeigen Sie Profil? Oder suchen Sie sich Ihre Kämpfe gut aus? Können Sie einen oder mehrere der hier genannten Gründe nachvollziehen? Glauben Sie, dass die aufgezeigten Möglichkeiten, mehr Profil zu zeigen, wirken könnten?
Zur Ermutigung noch das Schlusswort des Artikel von Martin Wehrle auf „Zeit Online“: „Eine Führungskraft ohne Überzeugung ist wie ein Kompass ohne Nadel: Niemand will ihr folgen.“
Daher hoffe ich, mit diesem Beitrag alle Führungskräfte, und speziell die Frauen unter Ihnen, dazu anzuregen, mehr Profil zu zeigen und für Ihre Meinungen einzustehen.
Dieser Beitrag ist Teil der Blogserie „Führen Frauen anders?“ und bezieht sich auf den zweiten Aspekt der 5 Aspekte, die für Frauen in Führungspositionen wichtig sind.
Auf eine rege Diskussion zu diesem Thema freue ich mich.
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